Erfahrungsberichte
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Kuschelschlitze im Korsett

Was gibt es als Kind Schöneres als mit dem Kettcar die Straßen unsicher zu machen – johlend mit den Geschwistern sich in die Kurven zu legen und das Leben zu genießen, einfach Kind sein.

Doch Kaja hatte abends immer blaue Flecken am Rücken, ungewöhnlich fürs Kettcarfahren. Ihre Eltern beschlossen daher, sich umgehend an den Hausarzt zu wenden, der direkt an einen Orthopäden verwies. Schnell war die Diagnose klar: „Skoliose“.

Doch die kleine Kaja und ihre Familie nahmen das Schicksal an – nie gab‘ es eine Diskussion, ob die Schroth-Therapie, die sie bis heute ganz regelmäßig bekommt, besucht wird. Auch als im Alter von acht Jahren die Entscheidung fiel, dass sie zusätzlich ein Korsett benötigt, wurde das von ihr immer direkt akzeptiert.

Um den Schulweg besser meistern zu können, erhielt sie einen Trolley, um den schweren Schulranzen nicht tragen zu müssen. Als Eltern macht man sich natürlich Gedanken, wie man den Alltag und vor allem den Schulalltag sicher für sein Kind gestalten kann. Daher informierten Kajas Eltern immer die Lehrerinnen und Lehrer über die Erkrankung und was beispielsweise im Fall einer Ohnmacht aufgrund hoher Temperaturen im Klassenzimmer zu unternehmen sei.

Die meisten von Kajas Freunden kennen sie eigentlich nicht ohne, schließlich trägt sie das Korsett 23 Stunden täglich, auch nachts beim Schlafen. Ihre Familie geht ganz offen mit dem Thema um und erklärt anderen Kindern, die Freiräume im Korsett immer als „Kuschelschlitze“ oder „Kitzelschlitze“. Dass es für sie alle selbstverständlich geworden und ein Teil von Kaja ist, kam auch so…

Zu Beginn der Grundschulzeit hat Kaja immer versucht, durch oversized Kleidung das Korsett zu verstecken. Wenn Klassenkameraden versehentlich an sie gestoßen sind, waren sie oft verwundert – Fragen wie „Trägst du einen Panzer“ kamen dann auf – Kaja lächelte es immer weg. Doch dann kam die Aufgabe ein Referat halten zu müssen. Kaja und ihre Eltern waren sich sofort einig „Skoliose“ ist das perfekte Thema. Sie erzählte ihren Klassenkameraden, was sich hinter dem Begriff versteckt, dass man nur im Kinder- und Jugendalter eine Chance hat, es zu behandeln und das hierzu auch das Tragen eines Korsetts gehören kann. Dann zeigte sie ihren Klassenkameradinnen und Kameraden ihr Korsett und damit diese ein Gefühl dafür bekommen könnten, dürften die Mitschüler es einmal selbst anziehen. Nie wieder hat jemand danach gefragt, es war „normal“ für alle geworden. Kaja berichtet, dass sie zum Glück nie Mobbing ausgesetzt war.

Auch für sie war das Referat ein sehr prägender Moment – die Bilder, die sie bei der Recherche für ihr Referat gesehen hatte über Kinder und Jugendliche, deren Skoliose nicht behandelt wurde, waren absolut abschreckend. Nie gab es einen Zweifel daran, das Korsett nicht zu tragen.

Und die Erfolge stellten sich ein – nach circa einem Jahr war das Ergebnis bereits so gut, dass der Arzt sogar eine Korsettpause versuchte – leider hielt der Erfolg nur circa ein halbes Jahr an. Im Anschluss wurde ein neues Korsett für Kaja erstellt, welches dann erstmalig in der Orthopädie-Werkstatt der Firma Riedel & Pfeuffer GmbH Haus der Gesundheit gefertigt wurde.

Im Laufe der Zeit erhielt Kaja insgesamt sechs Korsetts von der Firma Riedel & Pfeuffer – diese konnte sie sich jedes Mal ganz individuell gestalten lassen. Die meisten hat sie zurückgegeben, diese dienen nun als Anschauungsmaterial für andere Kunden oder wurden nachhaltig recycelt. Insgesamt wurde Kaja von drei verschiedenen Ärzten in ihrer bisherigen Zeit betreut. Auch regelmäßige Reha-Aufenthalte alleine oder in Begleitung ihrer Mutter haben bei der Behandlung der Skoliose geholfen.

Jetzt, beim vielleicht letzten Korsett, hat sie sich für die Farbe Weiß entschieden – sie möchte Unterschriften ihrer Familie, Freunde und Menschen, die sie auf ihrem Weg begleitet haben, darauf sammeln. Unsere Orthopädietechnik-Mechanikerin ist sehr stolz sich als Erste darauf verewigen zu dürfen.

Jetzt, im Alter von 16 Jahren, muss sie es nur noch nachts tragen. Plötzlich wird modische, figurbetonte Kleidung möglich – aber so ein bisschen bleibt sie ihrem Oversized-Look wohl immer treu. Mit einem Korsett wird leider jedoch die Lieblingskleidung ganz schön strapaziert – schnell entsteht mal ein Loch. Zum Glück hat sie jedoch mit der Haut keine Probleme – die Unterhemden, die sie unter dem Korsett trägt, schützen diese sehr gut, ferner wird die Passform optimal auf den Körper bei der Anprobe angepasst.

Wenn man Kaja nach Tipps für andere Betroffene fragt, sagt sie ganz klar: „auch wenn’s am Anfang vielleicht ein bisschen schmerzt, die Fortschritte werden sich einstellen. Wichtig ist es, dass man konsequent seine Übungen macht und das Korsett auch trägt“. Sie persönlich kann jedem die Schroth-Therapie empfehlen und hofft, dass sie diese auch nach der Zeit mit Korsett weiter von der Krankenkasse finanziert bekommt.

Einschränken hat Kaja sich nie lassen: ob Karate, Wandern, Klettern oder Handball – alles was sie wollte, hat sie ausprobiert und durchgezogen. Eigentlich muss sie beim Sport das Korsett nicht tragen, doch ab und an ist es einfach wie eine zweite Haut.

Kaja hat vor einem Jahr die zweijährige Ausbildung zur Kinderpflegerin begonnen. Die Ausbildung macht ihr große Freude und sie hat bereits Zukunftspläne. Im Anschluss möchte sie noch die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in Angriff nehmen.

Beeindruckend, wie eine so junge Frau so fantastisch mit dem Thema umgeht und all die Jahre über dieses Durchhaltevermögen zeigt. Selbstbewusst spricht sie über das Leben mit Korsett und hat private und berufliche Träume – die sie ganz klar formuliert und sicherlich auch umsetzen wird.

Wir wünschen Kaja auf ihrem weiteren Lebensweg weiterhin so viel Begeisterung und Neugierde fürs Leben – deine positive Art steckt an.